parallélisme élémentaire

Aron Mehzion

07.09 – 20.10

Der Gipsabdruck einer (Kinder-)Hand ist ein ziemlich vertrautes Objekt. Der Moment der Berührung mit dem noch ungeformten Material wird konserviert. Die Hand ist anwesend/abwesend und so offenbart sich in dem vertrauten Objekt die komplexe zeitliche Struktur eines Gegenstandes, der gegenwärtig und zugleich vergangen ist. Georges Didi-Huberman hat in seinem Essay „Ähnlichkeit und Berührung“ eine eingehende Analyse der Theorie und Geschichte des Abdrucks in der Kunst vorgelegt. Einer der künstlerischen Gewährsleute dabei ist Marcel Duchamp, der mit Abdrücken und Abformungen, sowie mit scheinbaren Abdrücken und Abformungen operierte.

Duchamps Denken ist auch einer der maßgeblichen Referenzpunkte für das Werk von Aron Mehzion, der mit „Corrélation non-local“ den Negativabdruck einer linken Hand zeigt. Getrennt von und zugleich verbunden durch einem halbtransparenten Spiegel befindet sich ein vollplastischer Abguss einer rechten Hand. Der Blick in und durch den Spiegel offenbart, dass sich Abdruck und Abguss perfekt ineinander fügen. Das Spiegelbild des einen überlagert sich mit dem Durchblick auf das andere, sodass der Moment der Berührung von Hand und Abdruck sichtbar wird. Im transparenten Spiegel ereignet sich eine unmögliche Berührung, zweier Objekte, deren eines doch nur aus dem tatsächlichen Ereignis dieser Berührung hervorgegangen sein kann. Aber: nur im Spiegel kann eine rechte Hand den Abdruck einer linken Hand hervorbringen und doch stehen beide Objekte im realen Raum vor uns.

Wo eine rechte Hand  den Abdruck einer linken Hand hinterlässt, verlassen wir den euklidischen Raum, denn nur eine Hand, die sich wie der Körper Gottfried Plattners in der Erzählung von H.G. Wells im vierdimensionalen Raum um eine Ebene gedreht hat, kann einen solchen Abdruck hinterlassen. Auf keine andere Weise kann ein dreidimensionaler Gegenstand in sein eigenes Spiegelbild überführt werden. Dies geschieht nur in jenem lediglich denkmöglichen Raum, in dem vier Ausdehnungsachsen jeweils im rechten Winkel zueinander stehen.

Duchamp legte die Betrachtungsweise nahe, die dreidimensionalen Gegenstände der für uns wahrnehmbaren Welt seien lediglich Projektionen vierdimensionaler Objekte – ein Gedanke, der vielen seiner Werke, nicht zuletzt dem sogenannten Großen Glas zugrunde liegt. Es ist bezeichnend, dass auch Aron Mehzion das in den Raum gestellte Glas als Projektionsfläche einer vierdimensionalen Geometrie einsetzt. Er ist er damit der erste seit Duchamp, der in radikaler Weise die künstlerischen Möglichkeiten jener Denkräume erkundet, die in Spielarten aktueller physikalischer Modelle wie der Supergravitaiton oder der Superstringtheorie nach wie vor relevant sind.

Hierzu nutzt der Künstler die Möglichkeiten des 3D-Drucks, denn nur damit lassen sich identische spiegelverkehrte Abbilder erzeugen. In seinen neuesten Arbeiten experimentiert er zudem mit sich durchdringenden Volumina, die Objekte – auch hier sind es wiederum Hände – in der Bewegung erzeugen. Sie zeigen, wie zeitlich aufeinanderfolgende Zustände sich überlagern. Es entstehen abstrakte Gebilde, bei denen der Takt des Nacheinander aufgehoben ist und in eine die Wahrnehmung überfordernde Simultanschau überführt wird.

In seinen großformatigen Zeichnungen interpretiert er bereits seit vielen Jahren diese Denkbewegung in der Fläche: Iterierende zeichnerischen Formen beziehen sich hier jede für sich auf Gegenständliches. In Wiederholung und Überlagerung aber betreiben Sie die Aufhebung des Gegenständlichen, denn sie lösen Fläche und Form zugunsten einer simultanen Wahrnehmung auf. Im sich überlagernden Rapport etablieren sie eine Sicht auf den Gegenstand aus allen möglichen Perspektiven zugleich, die in ihrer Verdoppelung verschwimmen und unkenntlich werden. Nur ein Wesen dem ein vierdimensionaler Blick gegeben ist, könnte die dreidimensionalen Gegenstände unserer Wahrnehmungswelt von allen Seiten zugleich sehen.

So lassen die Arbeiten von Aron Mehzion eine Welt aufscheinen, die nicht betreten werden kann, die aber dennoch in den Möglichkeitsräumen von Physik und Mathematik präsent ist.

 

Text: Falk Wolf


A (child’s) hand cast in plaster is a fairly familiar object. The moment the hand touches the still shapeless material is preserved. The hand itself is present/absent: both its past and its present are being held within the material, revealing its complex temporal structure. Georges Didi-Huberman’s essay „Ähnlichkeit und Berührung“ („Resemblance and Touch“) extensively analyses the history and theory of molding and casting in art, pointing out Marcel Duchamp as one of the most important artists employing these techniques, albeit sometimes only seemingly so.

Aron Mehzion brings to mind Duchamp’s practice in his piece „Corrélation non-local“, the mold of a left hand opposite the cast of a right hand, both objects being simultaneously separated and connected by a semitransparent mirror. Looking into and through the mirror it becomes apparent, that the cast and mold fit together perfectly. One mirror image overlaps with the other, the moment of touch between hand and plaster is manifested there. The transparent mirror shows the impossible touching of two objects, each of them can only exist as a direct result of this contact.

A right hand leaving the mold of a left hand implies the departure from Euclidean space. Only when having rotated within a four-dimensional space – in a similar way as Gottfried Plattner’s body in H. G. Wells’ story – would the hand be able to emerge from a mold like that, there being no other way that a three-dimensional object could be converted into its own mirror image. This only happens in an imagined space whose four axes extend at right angles to each other.

According to Duchamp, three-dimensional things which are familiar to us are merely projections of four-dimensional objects. This being the reasoning behind several of his works and particularly pertinent for his well-known “The Large Glass“. Tellingly, Aron Mehzion utilizes a piece of glass in a similar way as a surface to project four-dimensional geometry onto. This makes him the first person since Duchamp to artistically explore conceptual spaces in the fields of physics and, more specifically, in supergravitation and superstring theory.

Using 3D printing the artist produces identical, mirror-inverted copies. Additionally in his most recent work he attempts to realize volumes generated by objects in movement, in this case hands, accumulating and overlapping multiple states as they move through time and space. The results are abstract constructs that defy succession and in turn appear as visual depictions of simultaneity.

His large drawings are interpretations of the same thought as graphic gestures on a flat surface, each referencing an object. Repetition and overlay contribute to the dissolution of any representation in favor of a perceived simultaneity, depicting a view of the object that incorporates all possible perspectives. Only creatures with four-dimensional vision would be able to see objects from all sides at once.

In this way Aron Mehzion’s works enable us to catch a glimpse of a world we are inherently unable to set foot in, one that is nonetheless present in the possible spaces that exist in physical and mathematical theory.

 

Text: Falk Wolf, Translation: Aline Schwibbe