Inverresion

Aron Mehzion

06.02 – 05.03

 

Opening: Friday, February 5, 2016 6-9 pm

 

Casting procedures cannot turn three-dimensional objects into their own mirror images. Casting in molds, upending, pouring out – no matter what process one may apply, the result is never two mirror-image, symmetrical sculptures. A left-hand glove cannot be turned into a right-hand glove; one has to sew a new one. Aron Mehzion already experienced this at the beginning of the 1990s as a student at the Düsseldorf Academy of Art. Since then, this impossible conversion has not let go of his imagination. He has pursued it in the footsteps of Marcel Duchamp, who explored the fourth dimension artistically, and in the footsteps of H.G. Wells, who had his character Gottfried Plattner return from the fourth dimension as his own mirror image, with his heart on the right side of his body.

Four-dimensional space is the site that makes this transformation possible: just as a two-dimensional form can be turned into its mirror image by turning it over on an axis in the third dimension, a three-dimensional figure can be turned over on a surface in the fourth dimension to transform it into its own mirror image. But we have no access to a fourth dimension, and so nothing can be turned over in this way. It lies in the logic of mathematical thinking, beyond our perceptual capacities. The artistic avant-garde that was interested in transgressions of the merely visible was lastingly fascinated by this concept. Cubism, Surrealism, Futurism, Suprematism, and also the Bauhaus and De Stijl explored this conceptual model artistically. But with the suggestion of a five-dimensional space-time – the Kaluza-Klein theory – the reality of a multi-dimensional space lives in contemporary physics’ models of supergravitation and string theory.

Today, mirror-image symmetrical sculptures can be produced technologically, by using 3D printers. In recent years, Aron Mehzion has experimented with this method. The series of works thereby produced has fundamentally approached a four-dimensional perspective, possibly for the first time since Duchamp. Constitutive of his works is the use of semi-transparent mirrors. Placed between two mirror-image symmetrical figures, they permit perfect overlayings or interpenetrations of the mirror image of the one and the view of the other through the mirror. The surface of the mirror thus provides a glimpse that both reflects and penetrates. In interplay with the sculptures, the result is that a hand is simultaneously a right and a left hand. This is not oscillation or a flipping of one possibility into the other, but an indissoluble fusion of the opposites in a single image, perceptible at whatever moment and from whatever angle it is viewed. The arm that is missing in a sculpture is, in the mirror, simultaneously there and not there and simultaneously a right arm and a left arm.

Aron Mehzion’s mirrors let a world appear that cannot be entered, but which is nonetheless present in the realms of possibility of physics and mathematics. His large-format drawings are similar to them. They consist of iterated drawn forms, each of which refers to physical presence, but whose repetition dissolves physical presence. They, too, intimate a perspective, dissolve surface and form, and challenge perception.

Dreidimensionale Objekte lassen sich nicht durch Ab- und Umgussverfahren in ihr eigenes Spiegelbild überführen. Abformen, umstülpen, ausgießen; welches Verfahren man immer anwenden mag: niemals entstehen zwei spiegelsymmetrische Skulpturen. Aus einem linken Handschuh lässt sich kein rechter machen; man muss einen neuen nähen. Diese Erfahrung machte Aron Mehzion bereits Anfang der 1990er Jahre als Student an der Kunstakademie Düsseldorf. Seither hat jene unmögliche Umformung ihn nicht losgelassen. Er ist ihr nachgegangen auf den Spuren Marcel Duchamps, der die vierte Dimension künstlerisch erkundet hat und auf den Spuren von H.G. Wells, der seinen Gottfried Plattner spiegelverkehrt und mit dem Herzen in der rechten Körperhälfte aus der vierten Dimension zurückkehren ließ.

Der vierdimensionale Raum ist der Ort, der diese Transformation ermöglicht: So wie eine zweidimensionale Form durch Umklappen – Drehung um eine Achse herum in der dritten Dimension – in ihr Spiegelbild überführt werden kann, lässt sich eine dreidimensionale Figur in der vierten Dimension um eine Ebene herum drehen und so in ihr eigenes Spiegelbild überführen. Nun ist uns eine vierte räumliche Dimension nicht zugänglich, eine solche Drehung niemals durchführbar. Sie liegt jenseits unserer Wahrnehmungsmöglichkeiten in der Logik mathematischen Denkens. Die an Überschreitungen des bloß Sichtbaren interessierte künstlerische Avantgarde war von diesem Konzept nachhaltig fasziniert. Kubismus, Surrealismus, Futurismus, Suprematismus, aber auch Bauhaus und De Stijl haben sich mit diesem Denkmodell künstlerisch auseinandergesetzt. Mit dem Vorschlag einer fünfdimensionalen Raumzeit – der Kaluza-Klein-Theorie – lebt aber auch die Realität eines mehrdimensionalen Raums in den Modellen von Supergravitation und Superstringtheorie der aktuellen Physik fort.

Spiegelsymmetrische Skulpturen lassen sich heute auf technischem Wege mit 3D-Druckern herstellen. Aron Mehzion hat mit diesem Verfahren in den vergangenen Jahren experimentiert. Dabei entstand eine Werkserie, die sich – vielleicht erstmals seit Duchamp – auf grundsätzliche Weise mit einer vierdimensionalen Perspektive befasst. Konstitutiv für seine Arbeiten ist der Einsatz halb-transparenter Spiegel. Zwischen zwei spiegelsymmetrische Figuren gestellt, erlauben sie perfekte Überlagerungen oder Durchdringungen des Spiegelbildes der einen mit der Durchsicht auf die andere Figur. Die Oberfläche des Spiegels gewährt so einen Blick der sowohl reflektiert als auch durchdringt. Im Zusammenspiel mit den Skulpturen ergibt es sich, dass eine Hand zugleich eine linke und eine rechte Hand ist. Dies ist kein Oszillieren oder Umschlagen der einen in die andere Möglichkeit, sondern eine in jedem Betrachtungsmoment und aus jedem Betrachtungswinkel wahrnehmbare, unlösbare Verschmelzung der Gegensätze zu einem Bild. Der Arm, der bei der einen Skulptur fehlt, ist im Spiegel zugleich da und nicht da, und er ist zugleich ein rechter und ein linker Arm.

Die Spiegel von Aron Mehzion lassen eine Welt aufscheinen, die nicht betreten werden kann, die aber dennoch in den Möglichkeitsräumen von Physik und Mathematik präsent ist. Seine großformatigen Zeichnungen sind ihnen nicht unähnlich. Sie bestehen aus iterierenden zeichnerischen Formen, die sich zwar jede für sich auf Gegenständliches beziehen, in der Wiederholung aber die Auflösung des Gegenständlichen betreiben. Auch sie deuten eine Perspektive an, lösen Fläche und Form auf und fordern die Wahrnehmung heraus.

 

Falk Wolf